Kein Satz über Moers

Roger Willemsen in seinem Buch Deutschlandreise:

Ich sitze in einer Gaststätte in Moers und suche nach Sätzen über Moers. Das dauert. Immer wenn ich den Kopf hebe, sehe ich in die Augen von Wladimir Putin oder Bahnchef Mehdorn, dann Medikamente, Zwieback, Autoreifen. Ich streiche.
Wenn ich den Kopf nicht mehr hebe, bis ich den Satz habe, dann kriege ich Moers zu Papier, bevor ich hier rausgehe. Die Kellnerhose berührt fast die Tischkante. „Nein, danke.“ Die Kellnerhose zieht sich zurück.
Eine elektronische Frau spricht, ihre Stimme hat eine Dauerwelle, ihre Modulation ist mondän, Pausen macht sie zur Unzeit. „Ficken, ficken!“, kreischt es aus einer Ecke im Lokal. Ich hebe den Kopf. Das Gesicht der Moderatorin sieht bedrückt aus. Jetzt kommen Reporter ins Bild, ihr Beistand. Aber gleich ist sie wieder allein. Ihre Frisur ist unerschütterlich.
„Ficken, ficken“, kreischt es aus dem Lokal mit Papageienstimme. Da muß einer verrückt sein. Jemand lacht, jemand anderes sagt etwas Begütigendes. Sie nickt. Abgrissene Häuser kommen ins Bild, eine Textzeile. „Ficken, ficken!“ Die Stimme erstirbt, nicht freiwillig. Die Elektronische bleibt sachlich, schüttelt den Kopf. Der Kellner schüttelt den seinen noch Minuten später.
Kein Satz über Moers.

Trotzdem – oder gerade deshalb? – ein sehr lesenswertes Buch.