Vertane Chancen im Profijournalismus

Ich bin gerade bei Heiko drauf gestoßen und auch das BILDBlog berichtet: Die Fernsehsendung Stern TV berichtet in einem aufschlußreichen Filmbeitrag über einen Test bei Mercedes Benz. Ein Bremsassistent soll mit Hilfe eines Radars frühzeitig Gefahren erkennen und Warnsignale an den Autofahrer abgeben, damit dieser bremst. Sobald der Fahrer bremst, verstärkt der Bremsassistent die Bremsung, um das Auto vor dem Hindernis zum Stehen zu bringen.

In dem Filmbeitrag wird aber offensichtlich, dass der testende Redakteur der Auto-BILD (inzwischen entlassen) mit den Versuchsleitern von Mercedes-Benz unter einer Decke steckt und der Versuch komplett inszeniert ist: es gibt kein Warnsignal, der Testfahrer bremst, wenn er mit dem Vorderreifen über eine extra angebrachte Holzlatte fährt.

Das alles wäre wahrscheinlich gar nicht aufgefallen, wenn es bei der ersten inszenierten Crashfahrt nicht zum Selbigen gekommen wäre. Es folgen interessante Mitschnitte des Mikrofons des Testfahrers (von der Auto-BILD), während er mit den Angestellten von Mercedes-Benz spricht. Ganz klar soll der Vorgang vertuscht werden, damit die vorgestellte S-Klasse keinen Imageschaden abbekommt.

Alles in allem ein toller Beitrag. Dann Günther Jauch im Studio mit einem Vertreter von Mercedes-Benz: normalerweise mag ich solche Situationen nicht, denn der Filmbeitrag ist so ungeheuerlich, dass der Mann von Mercedes-Benz nach dem Interview eigentlich weinend aus dem Studio kriechen müsste. Dann bekomme ich immer Mitleid mit den Betroffenen, egal was diese nun ausgefressen haben.

Was aber schließlich folgt ist echt der Schonwaschgang und ein schlimmes Déja-Vu überkommt mich: gerade erst wird der Redakteur von Auto-BILD in dem Videobeitrag fertig gemacht, weil er offensichtlich zusammen mit Mercedes-Benz Schweinereien ausgeheckt hat. Und nun wird der Mercedes-Benz Mensch von Günther Jauch mit Samthandschuhen angepackt. Wieso? Angst vor der eigenen Courage? Welche Marke fährt eigentlich Herr Jauch?

Warum wurde nicht gefragt, weshalb man so einen Versuch überhaupt in einer Halle machen musste, wo doch vorher schon „Hunderte von Journalisten“ das System erfolgreich getestet haben? Wieso soll irgendein Zuschauer darauf vertrauen, dass all diese Versuche nicht auch vorgetäuscht waren? Wie erklärt sich der Mann von Mercedes-Benz diese Absprachen mit dem Herrn von der Auto-BILD? „Das war dumm“ ist eine noch dümmere Antwort, die nur oberflächlich als entwaffnend durchgehen könnte. Von Profi-Journalisten erwarte ich da deutlich mehr. Wenn da sechs bis zehn Leute von Mercedes-Benz und der Auto-BILD zusammen stehen und überlegen, wie sie den fehlgeschlagenen Test erklären können, dann ist das kaum Dummheit, sondern geplanter Vorsatz.

So ein Müll. Ich rege mich über die Studio-Situation fast mehr auf, als über den Inhalt des Beitrags.

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2 Gedanken zu „Vertane Chancen im Profijournalismus

  1. Es gibt da mehrere Komponenten, unter anderem auch die nachfolgende SternTV-Sendung. Klar ist, dass ein Verlag von der Größe Gruner+Jahrs sich nicht mit Daimler Chrysler überwerfen kann.
    Das wären in fast jeder Printausgabe drei Vollseiten weniger Werbung sonst.
    Auch dass DC ein paar Euro hat springen lassen, damit der Schaden nicht ähnlich ultimativ ausfällt wie einst bei der A-Klasse dürfte wohl ohne Beweis für wahr anerkannt werden können.
    Die Interessante Frage ist: Wenn VW solche Systeme fremdentwickeln läßt, Ford und GM bzw. General Electric als deren Technologiepartner an der Machbarkeit zweifeln und Toyota vergleichbare System im Lexus für 2015 voraussagt: Warum läßt sich Mercedes-Benz auf so ein kritisches/riskantes Manöver ein? Das der Aufbau gepfuscht war, sah man sofort. Die Halle war schäbig und ein Weltkonzern hätte wahrlich die Möglichkeit gehabt einen schöneren Türken zu bauen.
    Das läßt nur den Schluss zu, dass da jemand auf unterer Ebene bei DaimlerChrysler sich hat hinreissen lassen. Und das wiederum wirft ein verdammt schlechtes Licht auf die Management-Strukturen in der Bude.
    Die Frage ist wenn solche unkontrollierten Vorgänge schon passieren könnnen, was bietet mercedes-wenn man da genauer hinleuchtet wie jetzt ansatzweise bei VW.

  2. Ich bin übrigens der Meinung, dass der A-Klasse-Elchtest von VW oder anderen Wettbewerbern inszeniert wurde. Die haben einem Autoredakteur ein paar Scheine zugesteckt und gesagt: „Fahr doch mal das Manöver mit der A-Klasse.“ Der Rest ist Geschichte …

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